Ryan
»Einen Augenblick mustert Alex ihren Verlobten stumm. Eins neunzig, in einem sündhaft teuren Anzug, der perfekt sitzt. Seine schlanke Figur wirkt durch die Größe beinahe hager. Die braunen Haare passen zu den dunklen Augen und sind wie immer penibel gestylt.
Dann zieht sie ein letztes Mal an ihrer Zigarette, steckt diese in Ryans Tasse, nimmt ihre eigene und verlässt wortlos den Balkon.«
Leseprobe
Heute, 31.03, 00:10 Uhr
Der Grat zwischen Stolz und Selbstüberschätzung ist nicht besonders groß, überlegt er, während er auf sein Opfer herabblickt. Doch alles ist so reibungslos gelaufen, da ist ein wenig Eigenlob nur angebracht.
Es ist zehn nach zwölf nachts. Das böse Erwachen wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Nur noch ein paar Minuten, vielleicht eine Viertelstunde.
Neben seinem Opfer geht er in die Knie und dreht dessen Gesicht am Kinn in seine Richtung. Glatze, markante Gesichtszüge, Dreitagebart, ein gepflegtes Äußeres sowie die absurd kräftige Gesamtstatur. Eine durchaus attraktive Erscheinung, das muss er schon zugeben.
Um sicherzugehen, dass sein Opfer keine Gefahr für ihn darstellt, rüttelt er an der Kette. Sie liegt eng um den Hals. Dann kontrolliert er die Halterung an der hinteren Wand des eigens für Patrick gebauten Käfigs. Alles ist, wie es sein soll. Perfekt. Also erhebt er sich.
Als er sich herumdreht, blendet dieser verfluchte Flutlichtstrahler. Eine Notlösung, denn um den Keller ausreichend zu beleuchten, fehlte die Zeit. Zu spät hatte er von den Urlaubsplänen seines Opfers erfahren. Eine Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen konnte.
Bevor er den Käfig verlässt, verharrt er. Schließlich tritt er mit all seiner Kraft in den Magen des wehrlosen Mannes. Nach einem Treppensturz und zwei Schussverletzungen kommt es darauf nun wirklich nicht mehr an.
Erfüllt von vollkommener Genugtuung tritt er aus dem Käfig heraus und verschließt die Tür.
Bevor es losgeht, überprüft er alles, was er in den kommenden Stunden brauchen wird. Angefangen bei der Pistole. Diese zu benutzen ist nicht seine Absicht. Doch nach dem, was er in den letzten Monaten über Patrick Seed in Erfahrung gebracht hat, ist ein Plan B angebracht. Wer ein Zusammentreffen mit dem Narbensammler unbeschadet überlebt, hat sich das Privileg jeder erdenklichen Vorsichtsmaßnahme wahrlich verdient.